Erlebnisbericht 2009

Hong Kong, 29. März 2009: „The First Place of the Fali Nariman Award for Best Respondent’s Memorandum is a tie. The first winner is: Harvard Law School. And the second Winner is: Johann Gutenberg University Mainz!” Wir stehen am Banquet-Buffet, als dieser Satz fällt. Wir springen hoch, schreien, jubeln und freuen uns auf die mainzerische Art und Weise, für die wir hier in Hong Kong seit Tagen bekannt sind. Noch vollkommen baff erklimmen wir die Bühne und nehmen unseren Award für den Beklagtenschriftsatz entgegen. Ein bewegender Augenblick. Unter dem Vis East-Banner mit der roten Bühne im Hintergrund strecken wir jubelnd unsere Awards für das Siegerfoto in die Kamera.

Doch immer der Reihe nach. Wie es zu all dem kam, vor allem, warum man in Hong Kong den Namen unserer Universität falsch aussprach, ereignete sich in etwa so: Es begann am 3. Oktober 2008 in einem kleinen Büro am Fachbereich 03 mit fünf Teammitgliedern, 2 Coaches, einem Professor und einer Kaffeemaschine. An diesem Tag begann der 16. Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot mit der Veröffentlichung der „Akte“. Als Akte bezeichnet man beim Vis Moot einen ca. 50-seitigen, fiktiven Sachverhalt. Wir hatten also eine Menge zu tun. Denn unser Mandant hatte ein großes Problem: Er hatte Autos von einer Vetriebstochter des Autobauers „Universal“ gekauft, die einen so schwerwiegenden Defekt aufwiesen, dass er sie nicht an seine Kunde weiterverkaufen konnte. Geleitet von der Angst, der ausbleibende Umsatz würde ihn in den Ruin treiben, löste er den Vertrag auf und wollte sein Geld zurück. Das Problem war nur, dass die Vertriebstochter mittlerweile pleite war. Das Geld sollte nun der Hersteller zurückzahlen. Wer dachte mit dem Verstehen des Problems wäre ein großer Schritt getan, der irrte ganz gewaltig. Gleich am Anfang der zweiten Woche hieß es von Markus: „So, am Freitag wollen wir dann mal einen ersten Draft sehen!“ „Drafts“ waren die Schriftsatzentwürfe, die wir ab sofort wöchentlich bei Markus, Ivo und Prof. Huber abliefern mussten. Montags waren unsere fein säuberlich abgegebenen Drafts meistens sehr bunt, die Seiten waren voller Schlangenlinien und Pfeilen, ganze Passagen waren durchgestrichen oder mit Anmerkungen versehen worden: „Struktur?“ lasen wir sehr oft. Aber auch: „So was liest doch keiner!!“ Unseren ersten Entwürfen sah man ihre Preisverdächtigkeit also nicht auf den ersten Blick an. Mit jeder Menge Arbeit vergingen die Wochen unglaublich schnell. Die Weinflaschen, die es gratis vom Pizza-Service gab, stapelten sich in unserem Büro-Regal. Mittlerweile gab es ein Klopfzeichen, mit dem wir Markus und Ivo in den Nachbarbüros signalisierten, dass der nächste Kaffee durchgelaufen war.

Anfang Dezember wurde es dann richtig ernst. Beinahe stündlich klopften wir in den Nachbarbüros mit neuen Drafts in der Hand an. Meistens aber auch mit dem Hinweis, dass es frischen Kaffee gab. Nach einigen sehr kurzen Nächten konnten wir schließlich am 4. Dezember 2008 pünktlich unser „Memorandum for Claimant“ nach Wien und nach Hong Kong schicken. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass es sich beim Vis Moot in Wien und in Hong Kong um zwei selbstständige Wettbewerbe mit eigenen Wertungskategorien handelt, der Sachverhalt bei beiden Wettbewerben aber derselbe ist. Nach gut einer Woche bekamen wir Antwort aus Wien und Hong Kong: Jeweils eine E-Mail mit dem Klägerschriftsatz der Waseda University Tokio und der Loyola University Chicago. Jetzt wurden die Rollen getauscht: Wo vorher unsere Position war, dass der kleine Autohändler aus Mediterraneo sein Geld zurückbekommen muss, war jetzt unser Standpunkt als Hersteller, dass wir mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun hatten. Die Argumente der Teams aus Tokio und Chicago mussten also entkräftet werden. Das Spiel mit wöchentlichen Drafts ging wieder von vorne los. Wenn es uns im Büro zu viel wurde entspannten wir bei einer Runde Bürobasketball (mit Papierkügelchen an der Tür stehend in den Mülleimer am Fenster) oder einem Bürostuhl-Rennen auf dem Gang vor unserem Büro (meistens nachdem der Sicherheitsdienst gegen 22:00 Uhr seine letzte Runde im ReWi gedreht hatte). Am 22. Januar 2009 konnten wir schließlich jeweils ein aus unserer Sicht gelungenes „Memorandum for Respondent“ nach Wien und nach Hong Kong schicken. Die schriftliche Phase des Moots war damit abgeschlossen. Von Professor Huber wurden wir in unsere Kurz-Ferien entlassen: „Erholen sie sich gut. Ab jetzt wird es erst richtig anstrengend.“ Nach jeder Menge Stunden nachgeholtem Schlaf ging es ab sofort darum, die Argumente in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen. Diese mündlichen Verhandlungen spielten sich fast täglich in unserem Büro ab, als Schiedsgericht dienten (auch fast täglich) Markus, Ivo und Professor Huber. Aber auch viele ehemalige Mainzer Mooties waren bereit, uns während der „Pleadings“ mit Fragen zu löchern. Denn die Kunst bestand nicht darin immer wieder denselben Vortrag zu halten. Die meisten Punkte gab es für das gute Beantworten von Fragen während des Vortrags. Zu Übungszwecken wurden wir daher schon mal von unseren Coaches ins Kreuzverhör genommen. Doch wir übten nicht nur unter uns: Seit Beginn der mündlichen Phase verbrachten wir viel Zeit im Zug. Wir trafen andere Universitäten bei Kanzleien in Frankfurt und bei einem Pre-Moot in München. Es dauerte gar nicht lang, da saßen wir auch schon mit Markus im Flieger nach Hong Kong. Dort angekommen war der erste Eindruck: warm und schwül. Dennoch lag es mit Sicherheit an unserer Aufregung, dass wir im Vis Center der City University Hong Kong unseren Registrierungsbogen mit feuchten Händen ausfüllten. Am Abend auf der Welcome Reception im Hong Kong Club wurde der Vis East offiziell von Prof. Louise Barrington eröffnet. Bei einem Glas Wein trafen wir alte Bekannte, aber auch Teams, von denen wir bisher nur den Schriftsatz gelesen hatten. Am nächsten Tag wartete nun endlich unser erstes Pleading gegen die Loyola University Chicago. Endlich ging es los. Auf diesen Moment hatten wir uns seit Monaten vorbereitet. Die Mainzer im Zuschauerraum waren mindestens so aufgeregt wie die beiden vor dem Schiedsgericht. Als nach einer Stunde alles vorbei war, konnten wir leider nicht ganz zufrieden sein. Vieles hatten wir in Probe-Pleadings schon mal besser gemacht. In den nächsten Tagen konnten wir uns aber steigern und nach der Chinese University of Hong Kong und der Hamline University waren wir sicher, gegen die Chulalongkorn University aus Thailand unser bestes Pleading gesehen zu haben. Es war Freitag, am Abend sollte verkündet werden, wer es in die K.O.-Runde des Vis East schafft. Nach einem verregneten Ausflug zum „Big Buddha“ erreichten wir – noch etwas durchnässt – den großen Vorlesungssaal der City University. Angespannt saßen wir auf unseren Plätzen, nacheinander wurden die Namen der Universitäten vorgelesen. Dezente Freude bei den Teams. Und plötzlich: „Johann Gutenberg University Mainz!“ Wir sprangen laut jubelnd auf, lagen uns in den Armen und freuten uns. Wir hatten es geschafft: Wir waren im Achtelfinale. In dieser Nacht schliefen wir alle unruhig. Di
e Runde der letzten 16: Gegen die Catholic University of America Columbus konnten wir unsere Leistung nochmal steigern. Jeder Satz kam perfekt. Im Vis Center sollte die Entscheidung verkündet werden, wer es in die nächste Runde schafft. Es war tatsächlich der Name unserer Universität, der da vorgelesen wurde. Wieder konnten wir jubeln. Ein bisschen hatten wir es aber geahnt: Kurz vor dem entscheidenden Satz hatte ein Schiedsrichter bereits die Kamera auf uns gerichtet. Es wäre ganz schon gemein gewesen, hätte er unsere Enttäuschung festhalten wollen. Erst nach Wochen sahen wir auf diesen Fotos wie hoch wir wirklich gesprungen sind. Wir hatten es ins Viertelfinale geschafft!

In der Runde der letzten Acht traten wir gegen die Stetson University an. Man merkte schnell, wir hoch die Leistungsdichte geworden war. Die beiden Jungs aus Florida hatten einiges auf dem Kasten. Deshalb konnten wir es verkraften, als wir nicht unseren Namen, sondern den der Stetson University bei der nächsten Verkündung hörten. Beim Seafood Dinner am Abend konnten wir befreit von der Anspannung des Tages mit den anderen Teams plaudern und feiern. Unseren Bekanntheitsgrad konnte man Besten daran erkennen, dass wir gebeten wurden, unsere Jubelszenen der letzten Tage nochmal nachzustellen. Der Vis East ging langsam zu Ende. Nach dem offiziellen Finale im Hong Kong International Arbitration Center am Sonntag fand die große Preisverleihung auf dem Gala Lunch statt. Aufgrund des komplizierten Buffet-Bedienungs-Systems kam es so, dass ausgerechnet wir am Buffet standen, als der erste Award für den Klägerschriftsatz bekanntgegeben wurde. Etwas enttäuscht, dass wir bei den „Honorable Mentions“ nicht dabei waren, hörten wir bei den Podiumsplätzen schon gar nicht mehr richtig hin. Aber dann: „The first runner-up is: Johann Gutenberg University Mainz!“ Der zweite Platz! Wenig später wurde verkündet, dass wir den Beklagtenschriftsatz gewonnen hatten. Es war kaum zu glauben. Wir hatten gewonnen! Der 1. Platz! Neben Harvard. Der Augenblick dort oben auf der Bühne unter dem Vis East-Banner bleibt ein unvergesslicher Moment. Aber warum wurde letztlich der Name unserer Universität falsch ausgesprochen? Nun, die Legende besagt, dass bei der ersten Verkündung, welche Teams es in die K.O.-Runde schaffen, das Mainzer Team schon bei den ersten sechs Buchstaben „Johann“ so laut losjubelte, dass man den Rest nicht mehr richtig verstehen konnte. Der Beitrag zum Vis Moot in der englischen Wikipedia weist daher bis heute als Gewinner des „Fali Nariman Award for Best Memorandum on behalf of Respondent 2009“ die „Johann Gutenberg University Mainz“ aus.

Mit den Awards aus Hong Kong im Rücken war es nicht leicht die Konzentration zu wahren: Der größere Wettbewerb in Wien stand uns ja noch bevor! Und weil sich das auch ehemalige Mainzer Mooties nicht entgehen lassen wollten, reisten wir mit fünf Teammitgliedern und sieben Coaches und Alumni nach Österreich. Am 3. April 2009 wurde der Vis vor 230 anwesenden Teams offiziell im Wiener Konzerthaus eröffnet. Nicht nur mit einer Begrüßungsrede von Moot-Begründer Professor Eric Bergsten. Es gab sogar einen Professor, der auf seiner Gitarre Lieder über den Vis Moot und das CISG zum Besten gab. Beim anschließenden Empfang trafen wir Bekannte aus anderen Teams und konnten bei einem Glas Wein von unseren Erlebnissen aus Hong Kong berichten. Später ging es in das Aux Gazelles – die offizielle Moot-Kneipe. Am nächsten Morgen wartete unser erstes Pleading gegen das University College London. Zehn Mainzer saßen im Zuschauerraum während zwei von uns vorne vor dem Schiedsgericht die Position des Klägers vertraten. Die Erfahrungen aus Hong Kong kamen uns zu Gute: Noch nie hatten wir Professor Huber so zufrieden mit einem Pleading gesehen. In den nächsten Tagen ging es so weiter. Gegen die Jungs aus Tokio und die Teams aus Malaya und McGill konnten wir all das ausspielen, was wir in den vergangenen Monaten gelernt hatten.

Trotzdem war die Nervosität groß, als am Dienstagabend verkündet wurde, wer es in die K.O.-Runde schafft. Rund 2000 Leute waren in der Wiener Messe versammelt. Name um Name wurde verlesen, bis es endlich hieß: „University of Mainz!“ Wir hatten es geschafft. Wir waren unter den letzten 64. Unser Gegner in der nächsten Runde: die Universität Erlangen-Nürnberg. Die Nacht war mal wieder kurz gewesen und die Verhandlung gegen Erlangen-Nürnberg rasend schnell vorbei. Im Dachgeschoss des Juridicums warteten wir auf die Entscheidung des Tribunals. Der Chairman sprach unglaublich lange, der entscheidende Satz war jedoch: „…but we have come to the decision that we give it to Mainz!“ Der nächste Mainzer Jubel. Rund zwei Stunden später wurde an gleicher Stelle aber leider der Name unseres Gegners aus der nächsten Runde ausgerufen. Sao Paulo hatte es ins Achtelfinale geschafft. Wir waren ausgeschieden. Ein Ergebnis, mit dem man nach der Verhandlung nicht unbedingt gerechnet hatte. Dennoch durften wir auf dem Awards Banquet am Donnerstag vor 2000 Leuten beim offiziellen Abschluss des diesjährigen Moots ein letztes Mal jubeln: Unser Beklagtenschriftsatz landete auf dem 3. Platz! Jeder unserer eingereichten Schriftsätze hatte damit einen Preis gewonnen. Am Abend im Aux Gazelles traf man ein letztes Mal all die Leute, die man während des Moots kennengelernt hatte. Man tauschte Adressen und Telefonnummern aus und stieß ein letztes Mal auf die tolle Zeit an, die man während der letzten sechs Monate zusammen erlebt hatte. Der Vis Moot 2009 war zu Ende. Wenn man sich an all die Erlebnisse zurückerinnert, dann war der Vis Moot eine unglaubliche Reise. Ein Abenteuer mit vielen einzigartigen Erfahrungen. Man investierte viel Zeit in den Moot, bekam aber so viel mehr zurück. Kaum zu glauben, dass alles so schnell vorbei war. Doch ein alter Mainzer Mootie hat dazu mal gesagt: „In Wirklichkeit lässt einen der Moot niemals mehr los.“ Er hatte Recht.

Jan Frohloff